Warum die Meerwasserwärmepumpen in Esbjerg so faszinierend sind
Im 2023 werden zwei Meerwasserwärmepumpen zum Herzstück einer neuen, grünen Energieversorgung. Die Pumpen können mit ihren „Formel 1-Muskeln“ dazu beitragen, das Stromgleichgewicht wiederherzustellen und die Energie für die Zukunft zu sichern.
Added Values betreut das Projekt seit seinem Beginn und hat als Berater komplexe Berechnungen angestellt und neue Technologien angewendet. In diesem Artikel richten wir unseren Fokus darauf, was die Meerwasserwärmepumpen zu richtigen „Kraftprotzen“ macht.
(Article in English)
Das Foto links ist vom FAT-Test vom Juni 2022, das Foto rechts zeigt das Baugelände im Hafen von Esbjerg. Beide Fotos wurden von DIN Forsyning im Juni 2022 leihweise zur Verfügung gestellt.
Neue Technologien im Spiel
Vor fünf Jahren ging die Versorgungsgesellschaft DIN Forsyning in Esbjerg unter anderem mit Added Values eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit an der detaillierten, technischen Planung einer neuen Fernwärmeversorgung als Ersatz für das Esbjergværket ein, dessen Schließung nach 32-jährigem Betrieb für das Frühjahr 2023 geplant ist. Heute erzeugt das Esbjergværket etwa 460 MW Fernwärme. Die Müllverbrennungsanlage Energnist in Esbjerg setzt jedoch die Erzeugung von Fernwärme für die Stadt fort.
Unsere erste Aufgabe 2017 war die Entwicklung eines Optimierungsmodells um zu berechnen, welche Technologien ins Spiel gebracht werden müssen, und um den Umfang der unterschiedlichen neuen Produktionskapazitäten zu ermitteln. Anschließend war ein detailliertes Design zu entwerfen - und zwar bis auf Schrauben- bzw. Bolzen-Niveau. Die Berechnungen auf der Basis von Preisen und Versorgungssicherheit zeigten, dass die neue Fernwärmeversorgung aus einer Reihe von kleineren und sehr verschiedenen Anlagetypen, wie zum Beispiel hauptsächlich Wärmepumpen (getrieben von Meerwasser), Holzhackschnitzelkesseln und Elektrokesseln, zusammengesetzt werden sollte. Darüber hinaus zeigten die Berechnungen, dass die bestehenden Gaskessel und Bioölkessel von DIN Forsyning künftig hauptsächlich als Spitzen- und Reservelast für besonders kalte Winter und bei Havarien genutzt werden sollen.
Mit dem in Phasen aufgeteilten Ausbau dieser Produktionskapazitäten wurde zudem beabsichtigt, die Möglichkeit für die Einbeziehung von Überschusswärme nach der Schließung des Esbjergværket aufrechtzuerhalten, zum Beispiel von Power-to-X.
So funktioniert die Meerwasserwärmepumpe - kurz erklärt. Quelle: DIN Forsyning
Heute schreiben wir Juni 2022, und angesichts der globalen Entwicklung hat sich die Wahl von Meerwasserwärmepumpen und holzbefeuerten Kesseln – und die geringstmögliche Anwendung von Gaskesseln – als eine sehr gute Entscheidung erwiesen.
Zwei riesengroße Wärmepumpen
Betrachten wir die großen Meerwasserwärmepumpen einmal näher. Ab dem Frühjahr 2023 werden die Pumpen vermutlich in etwa 6000 Stunden pro Jahr ungefähr 60 MW Fernwärme erzeugen. Dies entspricht dem jährlichen Wärmebedarf von bis zu 16.000 Haushalten in Esbjerg. Die Pumpen sind tatsächlich riesig!
Das Gebäude für die Wärmepumpen im Hafen von Esbjerg ist nun im Großen und Ganzen fertiggestellt. Schon bald werden die beiden riesigen Wärmepumpen von MAN Energy Solutions in Zürich in Betrieb genommen. Während die gesamte Ausrüstung installiert wird, ist auch die Inbetriebnahme des Meerwassersystems, das die Wärmepumpen mit „gratis“ Energie beliefert, in vollem Gange. Dieses System ist demnach ein Pendant zur „gratis“ Energie aus der Luft in einer gewöhnlichen Haushaltswärmepumpe, die allgemein bekannt ist.
Die Meerwasserwärmepumpe basiert auf dem natürlichen Kühlmittel CO2, das in einem geschlossenen Kreislauf in der Wärmepumpe zirkuliert. Mit diesem Kühlmittel wird zum Beispiel gesichert, dass keine unerwünschten Kühlmittelstoffe in das sehr empfindliche „Natura 2000“-Gebiet entweichen, das an Esbjerg angrenzt.
Die Meerwasserwärmepumpe besteht aus zwei identischen Strängen von jeweils etwa 30 MW. Damit beeindruckt sie sogar routinierte Fernwärme-Fachleute, die große Zahlen in der MEGAWATT-Klasse gewohnt sind.
Wärmepumpe. Quelle: MAN Energy Solutions
Muskeln und Motoren
Eine gewöhnliche kleine Haushaltswärmepumpe nutzt die Umgebungswärme eines Luftstroms, der durch ein Außenmodul geleitet wird. Auf diese Weise funktioniert auch die Wärmepumpe in Esbjerg durch die Zufuhr von 14.000 m3 Meerwasser. Pro Stunde! Das Meerwasser wird durch spezialdesignte Filter eingesogen, die keine Fische durchlassen und diesen auch keinen Schaden zufügt.
Von diesen Filtern aus wird das Wasser 600 Meter weit bis in die Wärmepumpe geleitet, wo aus dem Meerwasser Wärme „gesaugt“ wird. Anschließend wird das Wasser ins Meer zurückgeleitet - jetzt ein paar Grad kälter. Dies erfolgt durch die etwa 2 x 1.500 Meter langen Rohre, die einen Durchmesser von etwa 1,2 Meter haben.
Jetzt wird mit den Muskeln gespielt. Denn diese geringfügige Temperatursenkung des Meerwassers um etwa 2 °C setzt die Wärmepumpe in Fernwärme um, die bei einer Temperatur von 50-90 °C produziert wird. Es wirken demnach sehr große Kräfte auf das Wassersystem ein, wenn zum Beispiel ein Ventil schnell geschlossen wird. Eine Sache ist Technik, eine andere, aber genau so wichtige Sache ist die Entwicklung von Methoden zur Bekämpfung von biologischem Bewuchs in den Rohren von unter anderem Muscheln und Meereicheln. Aber davon erzählen wir ein anderes Mal.
Biologischer Bewuchs von Rohren Foto: Added Values
Zurück zu den Pumpen: Um die gewünschte Fernwärmetemperatur zu erreichen, muss das zirkulierende CO2 in der Wärmepumpe komprimiert werden. Der Kompressionsprozess erfolgt sozusagen in einem hoch entwickelten Turbokompressor. Dabei handelt es sich um gewaltige Maschinen. Denn bei einer Belastung von 100 % erhöhen die Kompressoren den CO2-Druck von etwa 35 bar auf mehr als 100 bar. Dies erfolgt bei einem Flow von weit mehr als 100 kg CO2 pro Sekunde. Die beiden Kompressoren werden jeweils von einem Elektromotor mit einer Leistung von gut 10.000 kW (13.600 PS) angetrieben.
Zur Veranschaulichung: Ein Formel 1-Motor leistet etwa 1000 PS. Das bedeutet, dass jeder der beiden Elektromotoren einen Effekt hat, der rundgerechnet 13 Formel 1-Motoren entspricht!
MAN-Wärmepumpe
Ein Großteil der Technik bezüglich der MAN-Wärmepumpe ist geheim, jedoch zeigt das nachfolgende Foto das Herzstück der Anlage. Der hermetisch verschlossene Turbokompressor ist mit einem Turboexpander und den großen Elektromotoren von 13.600 PS gekoppelt. Die Triebachse ist freischwebend, getragen von Magneten ohne jegliche Ölschmierung. Ein entsprechender Kompressor befindet sich seit 2015 im Herzen einer Anlage in 300 Meter Tiefe auf dem Meeresboden im Åsgård-Gasfeld im Europäischen Nordmeer.
MAN kompressor. Quelle: MAN Energy Solutions
Wärmepumpen sichern ein stabiles Stromnetz
In Dänemark ist es sinnvoll, dass wir das Stromnetz mit weiteren Offshore-Windkraftanlagen ausbauen. Denn es weht fast immer Wind. Bei Windkraftanlagen lässt sich jedoch die Stromerzeugung nicht zu 100 % voraussagen. Denn sie schwankt unvorhersehbar, so „wie der Wind weht“. Dem kann die Wärmepumpe abhelfen.
Ein Beispiel: Im 400 MW großen Windpark Horns Rev 3 kann eine fehlerhafte Prognose der lokalen Windgeschwindigkeit laut DMI, dem dänischen meteorologischen Institut, von 1 m/Sek. durchaus eine Abweichung der Erzeugung von der erwarteten Leistung von beispielsweise 20 MW bedeuten. Wenn man ausgehend von der DMI-Prognose zum Beispiel eine Erzeugung von 300 MW erwartet, beläuft sich die Erzeugung durch die Windkraftanlage nur auf 280 MW, da die Windgeschwindigkeit die Erwartung um 1 m/s verfehlt.
In einer solchen Situation ist es unbedingt notwendig, dass ein Kraftwerk die Einspeisung ins Stromnetz augenblicklich erhöht, wenn es zu einer Windstörung kommt. Ebenso kann die Situation behoben werden, indem eine Wärmepumpe den Verbrauch kontrolliert reduziert.
Ein solcher sofortiger Ausgleich von Stromerzeugung und Stromverbrauch wird immer wichtiger, je mehr wir die Stromerzeugung aus flüchtigen Quellen wie zum Beispiel mit Windkraftanlagen und Solarzellen ausbauen.
Wenn das Stromgleichgewicht nicht vollständig unter Kontrolle ist, kann das Stromsystem in äußerster Konsequenz zusammenbrechen. Deshalb hat Energinet, die in Dänemark für die Stabilität des Stromnetzes verantwortlich sind, den immer stärkeren Wunsch, dass unter anderem die Last von Wärmepumpen schnell auf- bzw. abwärts reguliert werden kann, so dass eine schwankende Stromerzeugung schnell ausgeglichen werden kann.
Formel 1 und FAT-test
Und hier wenden wir uns wieder der Wärmepumpenanlage in Esbjerg zu. Denn diese ist in hohem Maße darauf zugeschnitten, Energinet bei der Aufgabe, den Ausgleich zu schaffen, zu unterstützen: Die Wärmepumpe kann blitzschnell von Höchstlast zu Mindestlast wechseln und tatsächlich auch kurze Zeit später wieder auf Höchstlast sein.
Durch eine Abbremsung kann jeder der beiden Elektromotoren den Stromverbrauch ganz schnell um 5 MW „verringern“, um eine Minute später die Last wieder auf 10 MW zu erhöhen. Und wenn wir uns wieder in den Formel 1-Wagen setzen, dann hat er mit seinen 1000 PS eine hervorragende Beschleunigungs- und Bremsfähigkeit, aber diese Fähigkeit haben die beiden frequenzgesteuerten 13.000 PS-Elektromotoren auch!
Die Wärmepumpen werden in den kommenden Monaten in Betrieb genommen. Im Mai 2022 war Added Values bei MAN in Zürich, um dem Fabrikstest von Motor/Turbo-Kompressor/Turbo-Expander beizuwohnen. Dabei handelte es sich um einen sogenannten Factory Acceptance Test (FAT). Einen solchen Test in Wirklichkeit zu erleben, ist beeindruckend. Außerdem bestätigte der Test die Erwartung, dass jede Wärmepumpe sehr leicht den Stromverbrauch um 5 MW ändern kann, und zwar innerhalb der Anforderungen an Frequency Containment Reserve (FCR) – das heißt innerhalb von weniger als 30 Sekunden.
Zauberei oder Thermodynamik?
Angesichts der Höhenflüge der Strompreise werden Wärmepumpen immer wichtiger. Wir sehen deshalb der Inbetriebnahme der Anlage entgegen. Meerwasserwärmepumpen können Strom von beispielsweise Windkraftanlagen in ungefähr dreimal so viel Wärme umwandeln, indem sie dem Meer viel Wärme entziehen. Dies gilt auch, obwohl die Temperatur des Meerwassers nur ein paar Grad über dem Gefrierpunkt des Meerwassers liegt. Zauberei? Nein – es handelt sich ganz einfach um die kluge Nutzung von Thermodynamik.
Neben Thermodynamik kommen bei uns aber auch viele andere Ingenieurdisziplinen zum Einsatz: Eine optimale Kopplung komplizierter technischer Prozesse mit hoch entwickelter Prozesssteuerung und -regulierung, hoch entwickelter Prozesssimulation und -berechnungen, Fluidmechanik und -dynamik, Material und Korrosion, Fouling und Wärmeübertragung und bestimmt noch weiteren Bereichen… Ja, die grüne Wende erfordert Expertenwissen und das Verständnis von Zusammenhängen innerhalb komplexer Energietechnologien. Aber auch genau das ist das Interessante und Wichtige an unserer Arbeit.
Torkild Christensen auf dem Gelände. Foto: Added Values